80Jahre Strassenverkehrsordnung

Artikel aus der Saarbrücker Zeitung vom 17.06.2006


Öfter in den Rückspiegel sehen

Allgemeine Verkehrsregeln in Theorie und Praxis - Ein Selbstversuch

Am 17. Juni feiert die deutsche Straßenverkehrsordnung (StVO) ihren 80. Geburtstag. Aus diesem Anlass hat SZ-Redaktionsmitglied Sascha Müller noch einmal eine Fahrschule besucht und seine Kenntnisse der Verkehrsregeln testen lassen.


Von SZ-Redakteur

Michael Beer

Fahrlehrer Friedebach mit Redacktionsmitglied Sascha Müller

Redakteur Sascha Müller

/ Hans Peter Friedebach
Foto: Willi Hiegel
Homburg. Lampenfieber wie beim ersten Mal. Mit dem alteingesessenen Homburger Fahrlehrer Hans-Peter Friedebach geht es auf die Piste, um den 80. Geburtstag der deutschen Straßenverkehrsordnung (StVO) angemessen zu würdigen: Eine Runde durch Homburg über eine Route der praktischen Führerscheinprüfung unter den wachsamen Augen des Fahrlehrers.

Eigentlich sollte das kein Problem werden, diese nachgestellte Prüfung zu bestehen, nach über eineinhalb Jahrzehnten Fahrpraxis - oder vielleicht doch: gerade deswegen? "Wenn einer schon lange Auto fährt, hat er seinen eigenen Fahrstil entwickelt - und den zu ändern wäre sehr schwer", hatte Friedebach noch vor der Fahrt aus seiner Jahrzehnte langen Erfahrung erzählt. Und wenn zu diesem Stil nun ein paar schlechte Angewohnheiten, ein paar Fahrfehler, zählen?

Mit dem Fahrschul-Auto geht es los, über dicht befahrene Hauptverkehrsadern wie die Bexbacher Straße in Wohngebiete mit Tempo-30-Zonen, schwer einsehbaren Einmündungen und Rechts-Vor-Links. Dann durch die Innenstadt, vorbei an Schulen und über kreuzende Radwege. Schneller als erwartet ist die Prüfungsfahrt schon überstanden - es folgt die Manöverkritik: "Sie sollten etwas öfter in den Rückspiegel sehen und Energie sparender fahren, indem sie früher hochschalten. Ansonsten gab es aber nichts Gravierendes", ist das knappe Resümee des Fahrlehrers.

In der Praxis ging es nochmal gut - aber wie sieht es mit der Theorie aus? Ein komisches Gefühl, noch einmal die Schulbank zu drücken - mit lauter 17- bis 18-Jährigen. Friedebach teilt die Übungsbogen aus. Erste Aufgabe: Ein Linienbus steht an einer Haltestelle, darunter die Frage: "Welche Fahrzeuge dürfen hier nur mit Schrittgeschwindigkeit und unter Ausschluss jeglicher Gefährdung der Fahrgäste vorbeifahren?" - Da sind sie wieder, diese Formulierungen in feinstem Verwaltungsdeutsch, die einen Prüfling in den Wahnsinn treiben können. Als würde es nicht reichen, dass der Fahrschüler auf so viele neu gelernte Verkehrsregeln achten muss - der durchschnittliche Kenner der deutschen Sprache darf auch noch mit heimtückischen Sätzen kämpfen.

Fahrlehrer Friedebach mit Redacktionsmitglied Sascha Müller
Foto: Willi Hiegel
Fahrlehrer Friedebach mit Redacktionsmitglied Sascha Müller
Foto: Willi Hiegel
Selbst wer schon einen Führerschein gemacht hat, fängt schnell an zu grübeln bei den Fragen auf den gelben Multiple-Choice-Bögen. Wie ist diese oder jene Formulierung genau gemeint, wo ist der Haken? Der Selbsttest wird noch einmal richtig stressig. Ist bei dieser Frage nur eine Antwort richtig, oder müssen mehrere angekreuzt werden? Die jungen Fahrschüler hier im Theorie-Unterricht machen zügiger ihre Kreuze, haben den Bogen relativ schnell ausgefüllt und abgegeben, sie sind ja auch im Training. Das SZ-Versuchskaninchen braucht etwas länger.

Als am Ende Fahrlehrer Friedebach den Prüfungsbogen kontrolliert, sieht es dann aber doch besser aus als erwartet: Nur bei einer Frage zur Fahrzeug-Wartung ist ein Fehler. Die Aufgaben zu den Verkehrsregeln sind richtig beantwortet. Allerdings war dazu in einzelnen Fällen ein Nachgrübeln notwendig, für das auf der Straße keine Zeit gewesen wäre. Ein schneller Blick in die Straßenverkehrsordnung selbst würde auch nur dem Profi helfen (doch der wäre nicht darauf angewiesen), denn nicht immer erschließt sich dem Laien das komplizierte Verwaltungsdeutsch. Ohne die anschaulichen Erklärungen eines Fahrlehrers wäre sie nur schwer zu verstehen.

Aber laut dem Homburger Verkehrsrechtsanwalt Hans-Jürgen Gebhardt (siehe unten) soll die StVO so umformuliert werden, dass nicht nur Juristen, sondern auch die einfachen Verkehrsteilnehmer sie verstehen können. Eine solche Reform der StVO wird wohl ausnahmsweise Fahrlehrer wie -schüler gleichermaßen erfreuen.


Der Homburger Fahrschul-Lehrer Hans-Peter Friedebach mit seinen Fahrschülern beim theoretischen Unterricht
Foto: Bernhard Reichart
Der Homburger Fahrschul-Lehrer Hans-Peter Friedebach mit seinen Fahrschülern beim theoretischen Unterricht. Foto: Bernhard Reichhart


Amerikanisches Abbiegen und Grünpfeil - ein Regelwerk im Wandel

Die Straßenverkehrsordnung wurde ständig überarbeitet

Homburg. Nach dem Ersten Weltkrieg nahmen der Kfz-Bestand und der Straßenverkehr in Deutschland wie in den übrigen Industriestaaten stark zu. Daher wurde zwischen den Staaten am 24. April 1926 ein "Internationales Abkommen über Kraftfahrzeugverkehr" geschlossen.

Am 17. Juni folgte die Einführung einer einheitlichen nationalen Straßenverkehrsordnung (StVO) für ganz Deutschland. Vorläufer dieser Verordnung war eine Reihe einzelner Verkehrsregeln, die bereits im "Gesetz über den Verkehr von Kraftfahrzeugen" von 1909 aus dem Deutschen Reich aufgeführt waren. Dieses Reichsgesetz sollte nach dem Aufkommen der ersten Automobile zur Jahrhundertwende zunächst aber vor allem Haftungsfragen bei Unfällen klären. Es war noch kein umfassendes Regelwerk zum korrekten Verhalten auf der Straße wie die folgende Straßenverkehrsordnung.

In ihrer langen Geschichte wurde die StVO immer wieder überarbeitet, um sie den Entwicklungen im Straßenverkehr anzupassen. Grundlegend neu wurden die Verkehrsregeln im Rahmen des Straßenverkehrsgesetzes von 1970 erlassen. Mit der Wiedervereinigung Deutschlands wurden sie 1990 auch auf die neuen Bundesländer ausgedehnt. Aus den Verkehrsregeln der früheren DDR wurde als neues Verkehrszeichen der Grünpfeil eingeführt, der den Rechtsabbiegern an Kreuzungen erlaubt, trotz Rotlichts für Linksabbieger und Geradeausfahrer die Kreuzung passieren zu dürfen.

Einige Veränderungen der StVO in den vergangenen Jahrzehnten waren zum Beispiel: Die Einführung des "amerikanischen Abbiegens" beim Linksabbiegen an Kreuzungen. Die Einführung des Reißverschluss-Prinzips bei Engpässen - zuvor musste sich frühzeitig eingeordnet werden, heute müssen beide Spuren bis zum Engpass genutzt werden. Ach ja: Die auf 0,5 abgesenkte Promillegrenze (Rechtsfolgen drohen bei auffälligem Fahrverhalten oder Unfällen aber schon mit weniger Alkohol im Blut) steht nicht in der StVO, sondern im Straßenverkehrsgesetz (StVG). sam

Weitere Informationen zur Straßenverkehrsordnung gibt es im Internet unter folgender Adresse: www.gesetze-im-internet.de/stvo/index.html oder www.bmvbs.de.

 


Gut, aber unverständlich

Eine Verordnung für alle Fälle

Homburg. Über die StVO sprach SZ-Redaktionsmitglied Sascha Müller mit einem der führenden Verkehrsrechtsanwälte in Deutschland, dem Homburger Rechtsanwalt Hans-Jürgen Gebhardt

Herr Gebhardt, wie gut lässt sich mit dieser StVO arbeiten?

Gebhardt: Für den einfachen Verkehrsteilnehmer ist sie eher
schwierig zu verstehen, und die Menschen vergessen daher
leider auch immer wieder wichtige Regeln.
Hans Jürgen Gebhardt
(Foto: re).

Gebhardt: Für den einfachen Verkehrsteilnehmer ist sie eher schwierig zu verstehen, und die Menschen vergessen daher leider auch immer wieder wichtige Regeln.

Dem Juristen gibt sie aber rechtliche Sicherheit, ein klares Gerippe, in das man einen Fall einordnen kann - die StVO deckt tatsächlich die meisten Fälle, die vorkommen können, ab.

Was sind für Sie die wichtigsten Änderungen in den vergangenen Jahren?

Gebhardt: Schwierige Frage. Die StVO wurde immer wieder überarbeitet, um sie den sich ändernden Bedingungen anzupassen. Ich würde unter anderem die Erweiterung der Schutzvorschriften dazu zählen: Die Einführung von Gurt- und Helmpflicht hat viele Verletzungen verhindert. Und dass Rückhaltesysteme für Kinder jetzt vorgeschrieben sind.

Was könnte ihrer Ansicht nach an der StVO verbessert werden?

Gebhardt: Die StVO ist inzwischen so ausgefeilt, dass ich spontan dazu nichts sagen kann, was inhaltlich zur Zeit verbesserungswürdig wäre. Aber sie sprachlich zu überarbeiten, wie es jetzt geplant ist, das halte ich für richtig, damit sie für das eigentliche Zielpublikum, den normalen Verkehrsteilnehmer, endlich verständlicher wird.

 

Für Drängler im Straßenverkehr

wird es richtig teuer

Verschärfung des Bußgeldkatalogs

Homburg. Im so genannten Bußgeldkatalog - genauer: Punkte-, Verwarnungs- und Bußgeldkatalog - sind die Sanktionen für Verstöße gegen Paragrafen der Gesetze und Verordnungen aufgeführt, die den Straßenverkehr regeln. Der Bußgeldkatalog bezieht sich zwar auf die Straßenverkehrsordnung (StVO), ist aber eine eigene Verordnung, der die in einigen Fällen etwas abstrakten Formulierungen der StVO konkretisiert.

In diesem Jahr wurde der Bußgeldkatalog in mehreren Punkten verschärft: Seit 1. Mai drohen beim Unterschreiten des Sicherheitsabstandes zum vorausfahrenden Wagen bis zu 250 Euro Bußgeld, vier Punkte im Verkehrszentralregister Flensburg und drei Monate Fahrverbot. Damit sollen Drängler stärker bekämpft werden (als Regel gilt: der Mindestabstand sollte den halben Tachowert in Metern betragen). Auch wer die Ausrüstung seines Autos nicht "den Wetterverhältnissen anpasst", also zum Beispiel im Winter mit Sommerreifen herumfährt, riskiert in Zukunft ein Bußgeld und zudem einen Punkt in Flensburg, wenn er dadurch den Verkehr behindert. Und wer einfach einen Bahnübergang überquert, obwohl er hätte warten müssen, erhält bis zu vier Punkte, drei Monate Fahrverbot und 450 Euro Geldbuße - eine Konsequenz aus verheerenden Unfällen in der Vergangenheit, wenn ein Auto von einem Zug erfasst wurde. Im August werden zudem neue Verkehrszeichen für Straßen-Tunnel und Nothaltebuchten in die Straßenverkehrsordnung eingeführt, und mit ihnen kommen auch Bußgeld-Regelungen bei Missachtung dieser Schilder. sam



 

Fahrlehrer Friedebach mit Redacktionsmitglied Sascha Müller
Foto: Willi Hiegel
Quelle: Saarbrücker Zeitung vom 17/18. Juni 2006